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ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR PSYCHOSOMATIK IN GYNÄKOLOGIE UND GEBURTSHILFE

Standard-Artikel: Statistik gegen die Fristenlösung

Der Plan, Anzahl und Motive für Schwangerschaftsabbrüche zu erfassen, ist ein Rückschritt und wird keinem Abbruch vorbeugen. Was wirklich helfen würde: die Verhütung auf Krankenschein

Michael Adam, Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, schreibt in seinem Gastbeitrag über die aktuelle Debatte zum Thema Schwangerschaftsabbrüche.

Nachdem schon die türkis-blaue Vorgängerregierung einen Angriff auf die Fristenlösung begonnen hatte, kommt jetzt ein neuer – nur mit den Grünen geht’s offenbar nicht so direkt. Daher die Idee der ÖVP, Anzahl und Motive für Schwangerschaftsabbrüche zu erheben. Als Arzt, der seit Einführung der Fristenlösung im Jahr 1975 in diesem Bereich medizinisch tätig war, möchte ich einige Überlegungen teilen.

Ein Bild aus vergangenen Tagen: Frauen demonstrieren für das Recht auf Abtreibung am 7. Mai 1971 in Wien.
Foto: Austrian Archives / Imagno / pic

Vor der sogenannten "Fristenlösung" galt der Paragraf 144 Strafgesetzbuch. Damals gab es geschätzte 100.000 Abbrüche im Jahr – gegenüber jetzt geschätzten 30.000. Und der Rahmen war – ich benütze das Wort bewusst – ein Horror. Wer sich’s leisten konnte, hatte jederzeit Zugang, die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht an das Sanatorium Auersperg. Oder man musste viel bezahlen (10.000 Schilling, umgerechnet rund 700 Euro). Eingriffe ohne Betäubung waren häufig, und Frauen waren generell unglaublicher Gewalt ausgesetzt.

Katastrophen mehr oder weniger an der Tagesordnung

Ich erinnere mich noch sehr gut, für die Abschaffung der Paragrafen 144 demonstrieren gewesen zu sein – nicht wissend, dass ich einmal einen Beruf haben werde, bei dem ich die Entscheidung werde treffen müssen, mache ich Abbrüche oder nicht. Man sollte auch wissen, dass vor der Liberalisierung Katastrophen rund um Abbrüche mehr oder weniger an der Tagesordnung waren: Im schlimmsten Fall endete er mit drei Toten. Ich erinnere mich an einen Fall, der mich maßgeblich beeinflusst hat. Bei einem illegalen Abbruch kam es zu einer Komplikation, der zum Tod der Schwangeren führte. Der Arzt hat sich danach das Leben genommen. Das ist der Hintergrund, den ich nie vergessen werde und den auch die Öffentlichkeit nie vergessen sollte.

Ich habe meine Facharztausbildung in einem Wiener städtischen Krankenhaus, der heutigen Klinik Landstraße, gemacht, in dem als einzigem neben der Semmelweis-Frauenklinik – ein Riesendanke an den damals dort tätigen Pionier Alfred Rockenschaub – Abbrüche durchgeführt wurden. Dort war es üblich, jede Frau, die mit dem Wunsch nach einem Abbruch kam, verpflichtend neben der ärztlichen Untersuchung auch eine Tür weiter zu einer Beratung durch eine Sozialarbeiterin zu schicken. Ich habe aus Interesse nachgefragt, ob ich bei solchen Beratungen dabei sein darf. Ich durfte. Gelernt habe ich: Neun von zehn Frauen empfanden die Beratung als unnötig, wenn nicht als Zumutung, weil sie genau wussten, was sie wollten. Oder andersrum: Eine von zehn war dankbar.

Ich erinnere mich nicht mehr, wie viele dieser Frauen dann vom Abbruch Abstand genommen haben. Es muss so jede Zweite gewesen sein. Meine Schlussfolgerung: Beratungsangebot ist wichtig, Beratungspflicht bloß ein Versuch, die Entscheidung der Frauen zu erschweren. Nebensatz: Die deutsche Regelung, dass eine Beratung durch jemanden, der nicht den Abbruch durchführt, gemacht werden muss, sowie einer Drei-Tage-Frist zwischen Beratung und Abbruch, ist meiner Meinung nach nur ein verklausulierter Versuch zur Verhinderung und die Entscheidungen der Betroffenen nicht zu respektieren.

Auf Information setzen

Ich habe es mir zur Pflicht gemacht, jede Frau bei der obligatorischen Nachkontrolle zu fragen, ob die Entscheidung auch im Nachhinein stimmig ist. Selten kommt es vor, dass eine Frau sagt, sie hätte dem Druck des Partners nicht nachgeben sollen. Einmal musste ich hören – das ist Jahre her –, sie hätte sich von mir als Arzt unter Druck gesetzt gefühlt. Ich habe die Art und Weise meiner Beratung so modifiziert, dass das kein zweites Mal vorgekommen ist.

Ich teile die Meinung, dass wir alles tun sollten, um Schwangerschaftsabbrüchen vorzubeugen. Dazu gehört Information, sodass jede Jugendliche / jeder Jugendliche Bescheid weiß über körperliche Abläufe rund um Sexualität und den Zugang zu – am besten – kostenloser Verhütung. Wer Schwangerschaftsabbrüche verhindern will, sollte statt auf Statistiken auf Verhütung auf Krankenschein setzen. Mein persönlicher Beitrag war, gesponsert von der Stadt Wien in Schulen zu gehen und Jugendliche über Basics zur Biologie zu informieren und darüber, wie sie kostenlos und anonym Verhütungsmittel in Jugendberatungsstellen der Stadt Wien bekommen können. Direkt messbarer Erfolg: weniger Teenageschwangerschaften!

Den meisten Menschen ist nicht bewusst, dass die Fristenlösung nach wie vor Teil des Strafgesetzes ist. Dort heißt es, dass der Schwangerschaftsabbruch strafbar ist, mit Ausnahme, wenn er innerhalb der – windig formulierten – Zwölf-Wochen-Frist erfolgt. Eine Regelung außerhalb des Strafgesetzes ist längst überfällig. Das ändert zwar nichts im Alltag, würde aber sehr wohl etwas am Gefühl ändern.

Eine Verteuerung

Noch eine kleine Feinheit: Seit Juli 2020 ist die Abgabe der "Abtreibungspille" Mifegyne nicht mehr nur Krankenanstalten vorbehalten. Seit damals dürfen auch niedergelassene Fachärztinnen und Fachärzte Mifegyne abgeben. Das ist im Sinne von Niederschwelligkeit zu begrüßen. Weil aber – jetzt ist ein Ausflug ins Steuerrecht nötig – Schwangerschaftsabbruch (wie übrigens auch Verhütungsberatung!) steuerrechtlich nicht als Heilbehandlung gesehen wird, sondern in eine Reihe mit plastisch-chirurgischen Schönheitsoperationen gestellt wird, sind jetzt 20 Prozent Mehrwertsteuer statt zehn Prozent wie im Fall einer Krankenanstalt fällig. Man wollte den Zugang erleichtern, was begrüßenswert ist. Aber gleichzeitig führt es, ich vermute unbedacht, zu einer Verteuerung.

Die sorglos durchs Leben schlendernde Frau, die alle paar Monate eine Schwangerschaft als Kollateralschaden ihrer ungehemmten Sexualität abtreiben lässt, die gibt es nicht. Nach meiner Erfahrung wird die Erhebung von Statistik und Motivation keinem einzigen Abbruch vorbeugen. Vielmehr scheint mir die Intention hinter dem derzeitigen ÖVP-Vorstoß zu sein, einen weiteren Schritt im Kampf gegen die Fristenlösung zu setzen. (Michael Adam, 3.12.2020)

Michael Adam ist Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, war Mitbegründer des Geburtshauses Nussdorf und ist vormaliger Leiter des Department Semmelweis-Frauenklinik der Stadt Wien. Er ist FH-Lehrender in der Hebammenausbildung in Wien und Krems.

 

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