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ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR PSYCHOSOMATIK IN GYNÄKOLOGIE UND GEBURTSHILFE

In Memorium o.Univ.Prof.in Dr.in Marianne Springer-Kremser




Mit großem Bedauern müssen wir Sie über den plötzlichen und unerwarteten Tod von Marianne Springer-Kremser informieren. Mit ihr haben wir die wichtigste Pionierin der Psychosomatik in Gynäkologie und Geburtshilfe in Österreich verloren.

Marianne Springer-Kremser hat 1982 gemeinsam mit Peter Kemeter, Beate Wimmer-Puchinger, Marianne Ringler und Hans Neumann die Österreichische Gesellschaft für Psychosomatik in Gynäkologie und Geburtshilfe gegründet, und hatte 16 Jahre deren Präsidentschaft inne. Bis zu ihrem Tod war sie im erweiterten Vorstand der Gesellschaft aktiv.

1974 mit der Gründung der Psychosomatischen Frauenambulanz als Liaisonambulanz der Universitätsklinik für Psychoanalyse und Psychotherapie (damals: Institut für Tiefenpsychologie und Psychotherapie) an der II. Frauenklinik, setzte sie den ersten Schritt, dem ein weit reichendes Engagement für die Psychosomatik der Frau in verschiedenen Organisationen wie zum Beispiel der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung, der International planned parenthood federation (wo sie viele Jahre im Governing Council war) und des Committee on Women and Psychoanalysis der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung folgte.

Seit 1991 war sie Mitglied des Arbeitskreises für Gleichbehandlung der Universität Wien und seit der Gründung der Medizinischen Universität, deren Vorsitzende. Ab 1987 leitete sie in der Nachfolge von Prof. Hans Strotzka die Universitätsklinik für Psychoanalyse und Psychotherapie an der Medizinischen Universität Wien. Nach 11-jähriger supplierender Leitung wurde sie 1998 als ordentliche Professorin berufen und führte die Klinik bis zu ihrer Emeritierung im Jahr 2009. Durch ihr unermüdliches und entschlossenes Wirken in Forschung, Lehre und Klinik sowie auch durch ihren politischen Einsatz hat sie den Fortbestand der Klinik maßgeblich gesichert.

 

Ihr wissenschaftliches Werk ist vielfältig und umfasst alle Bereiche der Psychosomatik der Frau, die Sexualität, aber auch psychoanalytische Themen und Fragen der Behandlung und Ausbildung von Medizinstudent:innen und Psychotherapeut:innen.

Schon 1974 hat sie in ersten Arbeiten gemeinsam mit ihrem Ehemann Alfred Springer zum Thema sexueller Funktionsstörungen publiziert. In der Arbeit die ‚Symptomatische Spirale’ haben die beiden eine erfolgreiche Behandlung von Paaren mit Sexualstörungen mittels einer modifizierten Methode nach Masters und Johnson beschrieben – eine Arbeit, die Prof Strotzka zum Anlass nahm, Marianne Springer-Kremser an sein Institut für Tiefenpsychologie und Psychotherapie zu holen. In den folgenden Jahren beschäftigte sie sich mit Sexualproblemen im Hinblick auf verschiedene Phasen der psychoanalytischen Entwicklungspsychologie. Schon in diesen frühen Arbeiten hat sie auf die Wichtigkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit in der Behandlung sexueller Funktionsstörungen hingewiesen. Sie zeigte nicht nur die Psychodynamik des einzelnen und die Interaktion in der Paarbeziehung, sondern auch die Bedeutung der sozialen Situation für das positive Erleben oder die Entwicklung von Sexualstörungen auf. Sie hat verstanden, dass Sexualität für jede Frau in jedem Lebensabschnitt etwas Lustvolles sein kann, worauf die Frau ein Anrecht hat. Und so hat Marianne Springer-Kremser wesentlich dazu beigetragen, dass Sexualität in der psychosomatischen Medizin Berücksichtigung fand.

Die Beiträge von Marianne Springer-Kremser im Bereich der Psychosomatik sind so vielfältig, dass nur auf einige hingewiesen werden kann.

1979 verfasste sie gemeinsam mit Peter Kemeter eine Arbeit zu Konfliktanalyse und gynäkologisch/endokrinologischer Untersuchung bei sekundärer Amenorrhoe. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Gynäkolog:innen und Psychotherapeut:innn, bzw. eine erforderliche psychosomatische Kompetenz von Gynäkolog:innen werden in dieser Arbeit besonders herausgestrichen. Anhand einer vor allem gynäkologisch/endokrinologischen Behandlung einer jungen Patientin mit sek. Amenorrhoe wird aufgezeigt, wie es der Patientin aufgrund der parallel durchgeführten psychotherapeutischen Gespräche möglich wurde, ovulatorische Zyklen zu entwickeln. Dabei werden verschiedene Konfliktsituationen im Zusammenhang mit der Bindung an primäre Bezugspersonen und damit verbundener Schwierigkeiten in der Entwicklung einer weiblichen Identität herausgearbeitet. Die sekundäre Amenorrhoe stellte einen Kompromiss zwischen den inneren Konflikten dar und bot ihr einen Ausweg, diese auf eine für die Patientin leichter erträgliche körperorganische Ebene zu verschieben.

Marianne Springer-Kremsers Habilitationsschrift, die als Buch mit dem Titel „Psychosexualität und Gynäkologie“ herausgegeben wurde, beinhaltet eine theoretische Aufarbeitung von psychoanalytischen Konzepten zur psychosomatischen Pathogenese und eine ausführliche Darstellung von psychoanalytischen Theorien der Weiblichkeit sowie Überlegungen zur Ätiologie, Psychodynamik und Behandlung bei verschiedenen Krankheitsbildern aus der Psychosomatik.

Das, in diesem Buch ausführlich beschriebene, modifizierte psychoanalytische Erstgespräch mit dem Ziel einer strukturellen Diagnose, wie sie von Marianne Springer-Kremser eingeführt wurde, ist bis heute der Kernpunkt der psychoanalytischen Arbeitsweise in der Psychosomatischen Frauenambulanz. In einer 1997 durchgeführten Evaluationsuntersuchung konnte gezeigt werden, dass dieses Erstinterview eine Triagefunktion für die Indikationsstellung zu einer bestimmten Art von Psychotherapie hat und die Patientinnen, die empfohlenen Therapien tatsächlich nutzen können. Der Realitätsbezug, die Motivation zur Psychotherapie und der individuelle Leidensdruck werden als relevante Kriterien für die Indikationsstellung identifiziert;

1991 erschien das bis heute aktuelle Buch zur weiblichen Psychosomatik „Patient Frau“, das Marianne Springer-Kremser gemeinsam mit Marianne Ringler und Anselm Eder herausgegeben hat.

Ein weiterer ihrer Schwerpunkte war der Gender bezogene Ansatz, weibliche Probleme zu verstehen, die sie in erster Linie bezogen auf den Lebenszyklus untersucht hat. Die unterschiedlichen psychischen Bedürfnisse, Ängste und Probleme in den einzelnen Lebenszyklen der Frau stehen in Zusammenhang mit körperlichen und hormonellen Veränderungen und daraus ergeben sich spezifische Indikationsempfehlungen. Dazu hat sie Fragestellungen der Frauenheilkunde mit solchen der Psychiatrie verknüpft und damit wesentliche Beiträge zur frauenspezifischen Sichtweise auf psychische Probleme geleistet.

Exemplarische dafür ist: „Depressionsbehandlung: Was brauchen Frauen?“ aus 2006. In dieser Arbeit werden Inhalte und Ätiologie depressiver Störungen in Relation zu biogenetischen, psychischen und sozialen Bedingungen von Frauen untersucht. Die Depressionsentwicklung wird eingebettet in den weiblichen Lebenszyklus verstanden. Der normale weibliche Lebenszyklus ist im Gegensatz zum männlichen mit deutlich häufigeren Verlusten verbunden. Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett werden aber von ständiger Gefahr des Verlustes begleitet. Die Verluste im weiblichen Lebenszyklus sind um die reproduktive Funktion der Frau zentriert. Sie beginnen in der Präadoleszenz mit der Veränderung der Geschlechtsmerkmale und des Körperschemas, sowie dem monatlichen Blutverlust. In der reproduktiven Phase ist die Frau mit der Veränderung ihres Körperschemas in der Schwangerschaft konfrontiert, dem Verlust beim Durchtrennen der Nabelschnur, dem Abstillen und schließlich dem Verlust der Fruchtbarkeit in der Menopause. Der komplexen Interaktion zwischen der weiblichen Körperlichkeit und deren psychischer Repräsentanz mit kritischen Ereignissen im weiblichen Lebenszyklus, sowie den soziokulturellen Faktoren, wie Gewalt und Diskriminierung, muss nach - Springer-Kremser - bei der Erstellung von Behandlungsplänen für Frauen mit depressiven Störungen Rechnung getragen werden. Ihre Erkenntnisse dazu hat sie gemeinsam mit Alfred Springer in ihrem 2013 herausgebrachten Buch „Die Depressionsfalle“ zusammengefasst und aktualisiert.

Zentrales Anliegen jeder psychosomatischen Arbeit ist die Vernetzung zwischen den verschiedenen Berufsgruppen, ohne die die psychosomatische Einzelarbeit nicht zum Erfolg führen kann. Von Beginn ihrer Beschäftigung mit Psychosomatik hat sich M. Springer-Kremser mit der Entwicklung von Therapie- und Versorgungskonzepten auseinandergesetzt. Sie hat ihr Wissen in verschiedenen Weiterbildungscurricula weitergegeben. In ihrem Wahlfach: ‚Psychotherapeutische Therapie der weiblichen Psychosomatosen unter Berücksichtigung ethischer Fragen’, hat sie viele Jahre, Studierenden die Möglichkeit geboten, klinisch-psychosomatische Arbeit im Rahmen der teilnehmenden Beobachtung an der Psychosomatischen Frauenambulanz zu erleben. Darüber hinaus hat sie in unzähligen Vorlesungen zur Psychosomatik der Frau in den verschiedensten Fächern der Medizin und im Rahmen ihrer Supervisionstätigkeit ihre Erfahrung weitergegeben. Ihr Engagement für psychosomatische Fort- und Weiterbildung war dem psychosomatischen Curriculum der Ärztekammer gewidmet, das sie mit Peter Gathmann konzipiert und durchführt hat. Auch ihr Eintreten für Ethik in der Medizin, die Mitbegründung des Instituts für Ethik in der Medizin, wie auch ihre Arbeiten zu schwierigen, ethischen Fragestellungen, ihre Tätigkeit in der Ethikkommission der Meduni Wien und ihre langjährige Mitgliedschaft in der Bioethik-Kommission des Bundeskanzlers, sind Teil ihrer Forderung nach der Berücksichtigung einer psychosomatischen Sichtweise.

Marianne Springer-Kremser hat die psychoanalytischen Theorien zur Weiblichkeit weiterentwickelt, wie auch die psychoanalytische Lehre und Forschung. Die Etablierung und der Kampf um die Festschreibung der Psychoanalyse als einen wesentlichen Baustein in der Medizin ist ihr Verdienst. Es ist ihr zuzuschreiben, dass die Psychoanalyse heute ein fixer Bestandteil des Medizinstudiums an der Medizinischen Universität Wien ist.

Nicht unerwähnt bleiben soll auch Marianne Springer-Kremsers Engagement für die Psychoanalyse und psychoanalytische Therapie als Behandlungsmethode, sowohl im Rahmen der Österreichischen Ärztekammer als auch im Psychotherapie-Beirat.

Marianne Springer-Kremser hat sich nicht nur für die Psychoanalyse und Psychosomatik eingesetzt, sondern vor allem für die Frauen selbst. Dieser Einsatz war von der Überzeugung bestimmt, dass Frauen ihre Sexualität, ihre Reproduktivität und ihren Körper selbst bestimmen können. In dieser Haltung hat sie sich für die Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs innerhalb der ersten 12 Wochen in der Debatte um die Fristenlösung engagiert. Sie hat in Gremien der Gleichbehandlung für die Aufstiegsmöglichkeiten von Frauen gekämpft und in ihrer klinischen Arbeit und Vortragstätigkeit zur Anerkennung von Frauen als mündige Patientinnen beigetragen. Für ihr Lebenswerk erhielt sie 2007 den Preis der Stadt Wien für Medizinische Wissenschaften und Volksbildung. 2009 wurde sie zur Ehrensenatorin der Medizinischen Universität Wien ernannt.

Als Lehrende, Supervisorin, Mentorin und Chefin hat sie viele von uns unterstützt und gefördert. Ihre Haltung, die sie auch gegen konservative Meinungen immer beibehalten hat, reiht sie in die Reihe jener Frauen ein, die Wesentliches bewirkt haben.

Wir werden sie nie vergessen.

 

 

 

 

 

 

 

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